Zu den Risiken des freiwilligen oder genötigten Aufsuchens von psychiatrischen oder psychologischen Einrichtungen

Zu den Risiken des freiwilligen oder genötigten Aufsuchens von psychiatrischen oder psychologischen Einrichtungen

1) Gedrängt von Jobcenter und Co.: Was aber tun, wenn eine/r sich genötigt sieht, zu einem Termin einer psychiatrischen Begutachtung zu erscheinen, weil ansonsten womöglich das Jobcenter oder Sozialamt ihre Leistungen kürzen oder einstellen würden? Dazu ist dreierlei zu sagen:

  1. Informieren Sie sich im Einzelfall, ob tatsächlich solch drastische Konsequenzen eintreten können. Wenn es sich nur um ein Gerücht oder um eine Drohung handelt, die auf keiner gesetzlichen Grundlage steht, dann brauchen Sie nicht hinzugehen. Sie können höflich absagen, mit Verweis darauf, dass Sie sich grundsätzlich weder psychiatrisch noch psychologisch begutachten lassen und daher in Zukunft von solchen Einladungen verschont werden möchten.

  2. Direkt aus solch einer Begutachtung heraus ist die Gefahr gering, sofort einer zwangsweisen Unterbringung zugeführt zu werden. Auch für eine Entmündigung dürfte dieses Gutachten nicht direkt verwendet werden können, denn erstens waren Sie nicht zu einem Entmündigungsgutachten eingeladen worden, sondern zu einem anderen Zweck. Zweitens sind Sie ja vor Bestellung eines Vormunds geschützt, da Sie Vorsorgebevollmächtigte haben. Und drittens unterliegen die GutachterInnen ihrer Schweigepflicht. Theoretisch. Praktisch gibt es keine Garantie, dass mit den gesammelten Informationen auf kurz oder lang nicht doch etwas angestellt wird, was Sie nicht wollten. Zum Beispiel auch, in einer Arbeitsmaßnahme oder Arbeitsstätte für „psychisch Kranke“ zu landen. (Es sei denn, sie wollen das.) Allerdings kann die Bestätigung durch eine psychiatrische „Begutachtung“ von Arbeitsunfähigkeit denjenigen, die aus dem bürgerlichen Arbeitsleben und Arbeitszwang aussteigen möchten, auch die Chance eröffnen, dadurch Grundsicherung oder Erwerbsunfähigkeitsrente zu erlangen und gleichzeitig dennoch durch die PatVerfü vor der Zwangspsychiatrie geschützt zu sein.

  3. Wenn Sie meinen, unbedingt bei einem solchen Termin erscheinen zu müssen, gleichzeitig aber die mit einer psychiatrischen „Diagnostizierung“ verbundenen Risiken konsequent ausschließen möchten, sollten Sie a) ihre PatVerfü und b) eine befreundete Zeugin mitnehmen, die stellvertretend erklärt, dass Sie mit PsychiaterInnen grundsätzlich nie reden wollen. Diese Zeugin soll danach in einer kurzen eidesstattlichen Versicherung bestätigen, dass Sie eisern geschwiegen haben, der/die PsychiaterIn also keine Untersuchung machen konnte.

2) Besuch bei niedergelassenen PsychiaterInnen oder PsychotherapeutInnen: Eine häufig gestellte Frage im Zusammenhang mit der PatVerfü ist: „Kann ich dann nicht mehr ambulant zum Psychiater gehen?“ Die Antwort lautet: Doch, denn die durch das neue Patientenverfügungsgesetz versprochene Patientenautonomie beinhaltet ja nicht nur das Recht ‚Nein‘ zu sagen, sondern eben auch, ärztliche Hilfen freiwillig in Anspruch nehmen zu können, ohne dabei Gewalt fürchten zu müssen. So weit wieder zu den Idealen. Aber in der Praxis birgt auch eine für harmlos gehaltene Konsultation bei einer niedergelassenen PsychiaterIn oder auch PsychotherapeutIn Risiken. Es gibt für einige Menschen Gründe, weshalb sie nicht auf solch einen Besuch verzichten wollen, beispielsweise, weil sie sich psychiatrische Drogen verschreiben lassen möchten, die sie von anderen ÄrztInnen nicht bekommen. (Ein Versuch, sie von der Hausärztin zu bekommen, wäre es aber wert). Oder Menschen möchten eine/n PsychologIn aufsuchen, um über sich zu sprechen. Dazu muss gesagt werden, dass PsychologInnen die Gründe für menschliches Verhalten zwar eher sozial erklären als biologistisch, wie es die PsychiaterInnen meistens tun, doch sie operieren mit dem selben Krankheitsbegriff und den selben „Diagnosen“. Allein das Wort „Psychotherapie“ sagt schon aus, dass es den PsychotherapeutInnen ebenso um „Heilung“ einer angeblichen „Krankheit“ geht. Wenn eine sich über einen längeren Zeitraum erstreckende sogenannte „Psychotherapie“ von der Krankenkasse finanziert werden soll, dann kommen die Therapiewilligen allein schon deswegen nicht um eine „(Erst-)Diagnose“ aus dem Spektrum F00-F99 nach ICD herum.

Prinzipiell müssen sich PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen an ihre Schweigepflicht halten, wenn sie nicht vom Patienten der Schweigepflicht entbunden werden. An die Krankenkasse wird die „Diagnose“ alle Male weitergegeben. Erfahrungsgemäß sind PsychotherapeutInnen und im Übrigen auch SozialarbeiterInnen, ebenso wie PsychiaterInnen der Meinung, dass psychiatrische Gewaltanwendung in angeblich „erforderlichen Fällen“ eine richtige Methode des Helfens zum „Wohle“ der „PatientInnen“ sei. Und so könnten sie in Situationen, wo sie sich nicht mehr ‚zuständig‘ sehen, Polizei oder sozialpsychiatrischen Dienst verständigen. Prinzipiell kann außer diesem Vertrauensbruch nichts Weiteres passieren. Denn, falls es überhaupt so weit kommen sollte: Wenn man vor einer Person steht, die einen rechtmäßig zwangseinweisen könnte, ist es unerheblich, was man vorher noch erzählt hatte. Es könnte ein reines Gedankenspiel gewesen sein, was die TherapeutIn als Ausdruck von „Selbst- oder Fremdgefährdung“ missdeutete und eine solche lässt sich nun nicht „feststellen“ und somit auch keine Zwangsmaßnahme einleiten, weil der Betreffende längst verstummt ist und lediglich ihre/seine PatVerfü vorzeigt. Dennoch ist es eine Überlegung wert, wem man/frau ihr Vertrauen schenkt – auch Angehörige, die ihren Schatz schon lange unter „Betreuung“ sehen möchten, braucht man nicht alles wissen zu lassen. Kommen ungünstige Umstände zusammen und andere sowie der/die Betroffene selbst reden zu viel mit PsychiaterInnen, dann kann es trotz PatVerfü noch vorkommen, dass er/sie zunächst einmal eingesperrt und zwangsbehandelt wird und sich dann erst später, nach einem langwierigen Rechtsstreit herausstellt, dass die psychiatrischen Maßnahmen illegal gewesen sind.

3) Aufenthalt auf einer offenen Station: Ähnliches, wie für den Besuch einer Praxis einer niedergelassenen „TherapeutIn“ gilt für den Fall, dass Sie freiwillig eine offene Station aufsuchen, nur dass dann der Weg in die Geschlossene kürzer ist. Die meisten „Kliniken“ mit offener psychiatrischer Station haben gleich nebenan eine Geschlossene (und die ohne Geschlossene können in die im Landkreis nächstgelegene Anstalt mit geschlossener Abteilung verbringen).[80] Wenn Sie als „PatientIn“ ein Bett in einer Psychiatrie belegen wollen, werden Sie beide Augen zudrücken und hinnehmen müssen, von den PsychiaterInnen der Anstalt „diagnostiziert“ zu werden, ansonsten zahlt die Krankenkasse den Aufenthalt nicht. Da Sie eine PatVerfü haben und freiwillig da sind, dürften Sie im glücklichen Verlauf nicht zwangsbehandelt werden und können wieder gehen, wenn es Ihnen nicht mehr gefällt. Wenn Sie jedoch sogar eine Freiwilligkeitserklärung unterschrieben haben sollten, hat die Glaubwürdigkeit ihrer PatVerfü allerdings etwas gelitten. Da Sie sich dann so weit in die Schlangengrube hineinbegeben haben und die PsychiaterInnen zu ihrer „psychischen Krankheit“ noch „Selbst- oder Fremdgefährdung“ hinzudichten können, wird es möglicherweise schwierig, nicht doch noch eingesperrt zu werden. Sie können sich vor Gericht dann zwar immer noch darauf berufen, die PatVerfü durch ihr Verhalten nur hinsichtlich der Diagnose, nicht aber hinsichtlich der Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung widerrufen zu haben, aber sie werden einen guten Anwalt und starke Vorsorgebevollmächtigte brauchen, um sich da unversehrt wieder herauszuwinden.


[80] Eine Liste der psychiatrischen Anstalten Deutschlands mit geschlossener oder „halboffener“ Abteilung, in der zwangsweise gerichtlich untergebracht wird, ist hier zu finden: www.antipsychiatrie.de/io_14/die_tatorte.htm